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Mit dem European Green Deal zur #Textilwende?

Unter dem Hashtag #WardrobeChange bzw. #Textilwende fordert derzeit eine Kampagne des Projekts Make Europe Sustainable For All Führungspersonen der EU dazu auf, die Textilindustrie radikal umzugestalten. Die Umsetzung der 17 UN Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ist eng an die Produktionsverhältnisse und Konsumgewohnheiten des Sektors gebunden, weshalb konkrete Maßnahmen auf institutioneller Ebene dringend nötig sind.

Ist der „grüne Deal“ der EU-Kommission den Herausforderungen gewachsen?

Die Textilindustrie wird weltweit mit einem Wert von 3 Billionen Dollar beziffert (das entspricht 2 % des globalen BIP) und beschäftigt mehrere Millionen Menschen. In Europa alleine sind etwa 1,7 Millionen Menschen im Textilsektor beschäftigt. Die Produktion und Veredelung von Kleidung sind jedoch mit zahlreichen sozialen und ökologischen Problemen behaftet:

Die Europäische Umweltagentur betont in einem neuen Forschungsbericht vom Dezember 2019, dass Textilien die viertgrößte Ursache für Umweltbelastungen und den zweitgrößten Faktor für Flächenverbrauch darstellen. Zudem leistet der Sektor den fünftgrößten Beitrag zu CO2-Emmissionen. Insgesamt sind die jährlich produzierten 1,2 Milliarden Tonnen CO2 der Textilproduktion sogar höher als alle Treibhausgas-Emissionen des internationalen Flug- und Schifftransports gemeinsam

Wasserverbrauch, Chemikalien, Mikroplastik

Problematisch sind aus ökologischer Sicht außerdem der hohe Wasserbedarf, die Verwendung von Pestiziden im Anbau und der generell umfangreiche Chemikalieneinsatz. Durch Flächenkonkurrenz ergeben sich darüber hinaus zahlreiche Landnutzungskonflikte und ein wesentlicher Zusammenhang mit Ernährungssicherheit. Grund zur Sorge bereiten auch Plastikpartikel, die durch herkömmliches Waschen von manchen Textilien an das Wasser abgegeben werden – sogenanntes Mikroplastik. Insgesamt landen so etwa eine halbe Tonne jährlich im Abfluss (das sind 16x mehr als Mikroperlen aus Kosmetika). Derzeit wird Mikroplastik noch nicht umfassend aus dem Abwasser gefiltert und bedroht somit Süßgewässer und Meere – und letztlich auch den Menschen.

Textillager Deponie

Billige Mode, wechselnde Trends, mangelnde Textilienqualität und das durch Werbung verstärkte Bedürfnis nach Fast Fashion: Verschiedene Faktoren führen dazu, dass Kleidungsstücke häufig früher entsorgt werden als notwendig, wodurch ein enormes Abfallaufkommen bedingt wird – und das ohne wirksames Recycling: Von den Rohstoff-Fasern für die Kleidungsproduktion werden ganze 87 % verbrannt oder in Deponien gebracht. Dies stellt einen massiven Verlust von Ressourcen dar und erschwert so zusätzlich einen effizienten Umgang mit Flächen und Emissionen.

Soziale Produktionsfaktoren

Darüber hinaus sind die Produktionsstandorte der Textilbranche häufig von problematischen sozio-ökonomischen Faktoren geprägt: spärliche bis inexistente Rechte von ArbeitnehmerInnen, gefährliche Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsverletzungen, Bezahlung am Existenzlimit. Beispielhaft für Arbeitssicherheit und menschenwürdige Arbeit kann z.B. der medial präsente Brand einer Textilfabrik in Bangladesch 2012 genannt werden. Der Verkaufspreis eines Kleidungsstücks alleine sagt dabei wenig über dessen Produktionsbedingungen aus, insbesondere da einzelne Standorte teilweise aufgrund von Sub-Verträgen nicht von Prüfungen erfasst werden. Erschwerend kommt hinzu, dass mehr als drei Viertel der Arbeitskräfte, die unsere Kleidung produzieren, Frauen sind.

SDGs und die Textilindustrie

In Hinblick auf die obengenannten Probleme wird schnell offensichtlich, dass Effizienzgewinne der Produktion alleine nicht ausreichen werden, um die Sustainable Development Goals der UN (SDGs) zu erreichen und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Denn gleich mehrere SDGs stehen in engem Zusammenhang mit der Textilindustrie und unterstreichen den vielfältigen Nachholbedarf bezüglich gesetzlicher Vorschriften – national, europaweit sowie global:

SDGs in Zusammenhang mit der Textilindustrie  (Grafik: ÖKOBÜRO)

Ambitionierte Strategie: Der „European Green Deal“

Klimaneutralität bis 2050, Eindämmung der Umweltverschmutzung, Gewährleistung eines gerechten und inklusiven Übergangs („Niemanden zurücklassen“) – dies sind SDG-relevante Themen und gleichzeitig einige der Hauptziele der von Ursula von der Leyen initiierten Wachstumsstrategie für die EU, dem „European Green Deal“ (EGD). „Er wird es uns ermöglichen, die Emissionen zu senken und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen“, so von der Leyens Prophezeiung (Quelle).

Der Textilsektor wird dabei neben der Bau-, Elektronik- und Kunststoffbranche im EGD als eines von vier besonders ressourcenintensiven Handlungsfeldern identifiziert, auf die sich Maßnahmen konzentrieren werden. Darunter sind beispielsweise ein Vorgehen gegen den gezielten Einsatz von Mikroplastik, verstärkte umweltfreundliche Beschaffung, Abfallvermeidung und neue Vorschriften gegen Einwegkunststoffe (EGD, S. 9-10). Von zentraler Bedeutung wird dafür auch der neue Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft werden, der Wiederverwendung und Recycling in den Vordergrund stellen und den Import umweltschädlicher Produkte in die EU verhindern soll. Zum ursprünglichen, 2015 lancierten Aktionsplan zieht die Kommission in ihrem Bericht vom 2. März 2020 bereits positive Bilanz.

Der European Green Deal als (Teil der) Lösung?

Entscheidend für den Deal an sich wird zunächst der Erfolg des „Investitionsplans für ein zukunftsfähiges Europa“sein, mithilfe dessen mindestens 1 Billion Euro mobilisiert werden soll (über einen strategischen Einsatz des EU-Budgets sowie durch die Anregung externer Investitionen). Jedoch wird es von der Kohärenz und Reichweite der gesetzlichen Vorschriften abhängen, ob Probleme lediglich ins Ausland verlagert werden oder tatsächlich die gewünschte Wirkung erzeugt wird. In diesem Punkt geht es dabei nicht alleine um eine Vorreiterrolle der EU: Denn neben wirtschaftlichen Risiken bergen strenge Regulationen für nicht nachhaltige und sozial verträgliche Produkte theoretisch auch das Potenzial, international zur Implementierung strengerer Standards zu führen (California-Effekt).

Auch die EGD-Pläne gegen falsche Angaben über die Umweltfreundlichkeit von Produkten (sogenanntes „Greenwashing“) sind relevant: Mittels einer Standardmethode zur Bewertung von Umweltauswirkungen sowie Sanktionen für nicht zutreffende Angaben wird laut EGD (S. 9) auf Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit abgezielt. Derartige einheitliche, europaweite Messlatten sind ohne Zweifel wesentliche Voraussetzungen für jegliche Art von Maßnahmen und ermöglichen unter Umständen auch bessere Transparenz für KonsumentInnen.

Doch wie lange werden eine Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Einführung von Standards ausreichen, während sich Konsumgewohnheiten und Wirtschaftsmodelle nicht ändern?

„Sauber“ produzierte und wiederverwertbare/-verwendbare Produkte sind nur solange umweltfreundlich, wie sie auch tatsächlich wiederverwertet oder -verwendet werden – und solange Effizienzgewinne nicht durch eine ausgelöste Steigerung des Konsums ausgeglichen werden. Daher sind die (z.B. steuerliche) Unterstützung von Reparatur-Leistungen, ein erweitertes Angebot von Tausch- und Verkaufsbörsen sowie die sortenreine Trennung und Aufbereitung von Kleidungs-Abfällen mindestens ebenso wichtig für die Kreislaufwirtschaft wie die weltweite Regulierung der Produktionsstandards. Es bleibt zu hoffen, dass die im Green Deal und im Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft angesprochene Förderung von Wiederverwendung und Reparatur bald mit konkreten Maßnahmen in Angriff genommen wird.

Was kann ich tun?

Auch wir als KonsumentInnen können unseren Teil zur Nachhaltigkeit in der Textilbranche beitragen, indem wir unsere Konsumweise anpassen und gemeinsam fordern, dass auf den Green Deal der Kommission kohärentes Handeln folgt – denn eine #Textilwende ist längst überfällig.

  • Informationen verbreiten
    Denn Aufklärung über die versteckten Kosten der Textilindustrie für Mensch und Umwelt ist dringend nötig. Teile z. B. das Video der #WardrobeChange-Kampagne auf Social Media und erzähle deinen FreundInnen vom Firmencheck der Clean Clothes Campaign  oder dem Labelratgeber.
  • Setze auf Wiederverwendung und Reparatur:
    – Organisiere doch statt des nächsten Shopping-Trips eine Kleidertausch-Party mit FreundInnen
    – Stöbere in lokalen Second-Hand-Geschäften anstatt Kleidung online zu bestellen
    – Informiere dich, ob es dein gewünschtes Produkt auf einer Seite für Kleinanzeigen gebraucht zu kaufen gibt
    – Nimm Reparaturservices in Anspruch oder besuche Repair-Cafés bzw. DIY-Werkstätten
  • Achte auf faire Produktionsstandards
    Zahlreiche Internetseiten geben Auskunft über fair produzierte Marken und Bekleidungsgeschäfte in deiner Nähe.
Das Kampagnenvideo zu #WardrobeChange – #Textilwende

Weiterführende Links

Portrait von Carlonie Krecké / Foto: Martin Jordan
Portrait von Caroline Krecké / Foto: Martin Jordan
Von Caroline Krecké, ÖKOBÜRO / SDG Watch Austria
Caroline ist freiberufliche Übersetzerin und Lektorin, derzeit unterstützt sie ÖKOBÜRO und SDG Watch Austria im Bereich Kommunikation und nachhaltige Entwicklung. Sie hat an der Universität Wien sowie an der Universität für Bodenkultur Wien studiert und beschäftigt sich beruflich und privat mit Nachhaltigkeit, Umweltschutz und gesellschaftlichen Herausforderungen.

ÖKOBÜRO engagiert sich gemeinsam mit zahlreichen weiteren AkteurInnen im Zuge der Kampagne  Wardrobe Change als Teil des EU-Projekts Make Europe Sustainable For All. Bei SDG Watch Austria arbeitet zudem eine eigene Themeninitiative zum Thema Nachhaltiges Wirtschaften.

Hinweis: Eine Version des Artikels erschien am 24.02.2020 auf sdgwatch.at

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